
Liebe Ich,
meine Welt entfaltet sich in meinem Kopf. Hier existieren Orte von erschütternder Gewalt, aber auch von heilender Mitfühlsamkeit. Es gibt düstere, schweigende Räume und lichtdurchflutete, hoffnungsvolle Landschaften. Alles hier ist laut und leise zugleich, fordernd und doch auf seltsamer Weise wunderschön. Denn in meinem Kopf strebt alles nach einem Miteinander. Alles ist verbunden als würde die Welt im Inneren nur darauf warten, in Harmonie zu schwingen. Doch sobald ich meinen Kopf verlasse, sobald ich den Schritt hinaus wage, geschieht etwas anderes. Da draußen stoßen mich Gefühle an, wie Felsspalten die mich verschlingen: Angst, Scham, Ekel, Wut und eine tiefe Traurigkeit. Eine Trauer, geboren aus Einsamkeit. Es ist die Einsamkeit, die sich einschleicht wenn die Welten in meinem Kopf so lebendig, so voller Tiefen sind-und doch keinen Weg nach draußen finden. Ich sehe andere, ich höre sie, aber oft spüren ich die Distanz zwischen uns wie eine unüberwindbare Wand. Ich möchte berühren, berührt werden, verbinden, verbunden sein, teilen-und doch bleibt so vieles unausgesprochen. Dann flüchte ich zurück. Zurück in den einzigen Ort der mich zusammenhält. In meinem Kopf finde ich die passenden Worte. Dort formuliere ich die Liebe die in mir ist, die ich dann im Körper wahrnehmen kann, sogar für das Chaos, das dort draußen herrscht. Aber diese Liebe bleibt ein Gedanke und je länger dieser bleibt, desto schwerer wird das Gefühl der Einsamkeit zu tragen. Manchmal denke ich, dass diese Traurigkeit mich lehrt, wie sehr ich die Verbundenheit suche. Wie sehr ich möchte, dass das, was in mir lebt, auch von anderen gesehen wird. Doch die Brücke zu bauen vom Inneren ins Außen kostet Kraft. Oft mehr, als ich zugeben mag.
2020 #5
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