Zu Früh Zu Spät Zu Viel
Die Brücke ins Licht
Ich durfte verstehen lernen,Trauer ist ein Ort.
Ein Land, das man bewohnt und mit der Zeit besser kennemlernt.
Irgendwann, als die Tage still ineinanderflossen und selbst die Uhr leiser tickte, spürte ich, dass mein Platz dauerhhaft, dort nicht mehr war.
Mein jüngster Sohn war der Erste, der es sah.
„Mama, komm doch auch heim“, sagte er ohne Pathos, ohne Drängen. Nur mit dieser einfachen Klarheit, die Kinder manchmal haben, wenn sie mehr wissen, als Worte tragen.
Also packte ich nicht Koffer, sondern Erinnerungen und die Demut, die ich zwischen Holzofen und Stille gelernt hatte in den Wohnwagen. Die schweren zuerst, die, die nach Abschied rochen.
Ich ließ Möbel zurück, aber nahm das Versprechen mit, das ich ihm gegeben hatte:
Dass er sagen darf, wann es reicht.
Dass ich da bin, wenn er zu den Geschwistern will.
In dieser Erinnerung lag etwas, das ich lange nicht gespürt hatte:Neugierige Bewegung
Als ich in meiner alten Heimat ankam, stand die Stadt still und fremd zugleich. Doch zwischen den Straßen, die ich kannte, und den Gesichtern, die mich fragend ansahen, begann etwas milde zu leuchten.
Vielleicht war es Hoffnung.
Vielleicht alte Erinnerungen.
Ich fing an zu erzählen. Erst leise, dann lauter. Über Verlust, Liebe, Trauer und dieses merkwürdige, zähe Überleben.
Ich wollte, dass niemand glauben muss, Schmerz sei ein Ende.
Denn irgendwann verstand ich:
Schmerz ist eine Brücke.
Sie führt nicht nur zurück, auch hinüber, dorthin, wo Licht wieder möglich ist.
Heute gehe ich über diese Brücke jeden Tag.
Manchmal wackelt sie, manchmal trägt sie mich mit unerwarteter Sanftheit.
Und wenn ich Menschen begegne, die noch im Dunkeln stehen, reiche ich ihnen kein Trostpflaster, sondern die Hand.
Damit sie spüren:
Man kann sich nicht vor der Trauer retten,
aber man kann durch sie hindurch leben.
Und manchmal, wenn jemand meine Hand hält, merke ich:
Diese Brücke trägt uns beide.
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Zu Spät. Zu Früh. Zu Viel.
Mein Buch erzählt von der Trauer, die mich lange bevor ich es wusste, geprägt und geführt hat.
Ich gab ihr nur immer neue Worte.
Wer ich sein musste.
Wer ich nie sein wollte – und jetzt bin.
Ich habe bewusst keine Geschichte, keinen Roman, keine weich verpackten Worte gewählt.
Zwischen den Zeilen, dort, wo du innehältst, wo deine Gedanken flüstern „es wird zu viel“ oder wo sich etwas in dir still berühren lässt, genau dort möchte ich dich erreichen.
Nicht als Ratgeber.
Nicht als Vorbild.
Sondern als Mensch, der gelernt hat, dass Schmerz kein Ende ist.
Geh mit diesem Buch so um, wie du kannst.
Wenn es dich überfordert, leg es beiseite.
Wenn es zu laut wird, stell es in den Schrank.
Und wenn du irgendwann spürst, es ruft dich,
dann bist du bereit für das Licht, das zwischen den Seiten liegt.